Über Nacht bekommt sie Fieber. Es ist Vollmond. Die Nacht hatte sie sich gewunden in krampfendem Fieberwahn. Erschöpft und völlig ermüdet muss sie irgendwann wohl eingeschlafen sein. Als um halb 3 in der Früh der Cousin des Trommlers aus Istanbul hier durch die Strassen marschiert und die Gläubigen und Ungläubigen zum Essen vor Sonnenaufgang weckt. Selbst Gaddafi kann sie nicht versöhnen:
Wir alle kennen den Fastentrommler und lieben ihn. Sogar die kleinen Kinder lieben den Monat Ramadan und warten ungeduldig auf ihn wegen des Fastentrommlers und seiner Stimme, die die Schlafenden weckt, seiner einfachen Trommel und seinen hübschen, eintönigen Rhythmen, die diese alljährlich in jeder Nachtdes gnädigen Ramadan vertraute Stimme begleiten. Wir alle höre diese geliebten schönen Rufe und lauschen ihren angenehmen einzelnen Worten, die die Kinder noch lange wiederholen und die wir bei passenden Gelegenheiten verwenden, indem wir sagen: “Erwache, o Schläfer!”, wenn wir jemanden zum Aufwachen und Aufstehen drängen wollen. Möge Gott es dem Fastentrommler mit Gutem vergelten und ihn belohnen für seine bescheidene Mühe und seine wiederholten Rufe am Ende der dunklen Nächte, um uns zu wecken, damit wir die letzte Mahlzeit vor Tagesanbruch zu uns nehmen und unsfür ein Fasten am Tage vorbereiten, das lange dauern kann.
Wann bitte geht denn hier die Sonne auf!? Eine Stunde später ruft der Muezzin aus allen verfügbaren Lautsprechern mit maximaler Reichweite die Gläubigen zum Gebet. Nun sind auch die Esel und Hunde der Region wach. Alles geht wild durcheinander. Nur der Muezzin aus einem entfernteren Tal wechselt sich mit ihm in seinen Gebetspausen ab.
Zum Frühstück hatte sie kurz das Zimmer verlassen. Draussen blitzt und donnert es. Zurück in Zimmer 13 wieder in ihre wärmenden Wolldecken mit Blick auf das Krak des Chevaliers. Die Festung aus dem 11. Jahrhundert, das von dem Heer des Ersten Kreuzzugs ganze 10 Tage belagert wurde, ist in einem ausgezeichneten Zustand. Selbst Lawrence of Arabia war begeistert von seiner >>schönsten Festung der Welt<<. Es bedarf nicht grosser Vorstellungskraft, um sich das Leben dort zu dieser Zeit vorstellen zu können.
In ihre Wolldecken gewickelt auf der Liege mit Blick auf das Krak, kann sie erahnen wie sich wohl Sultan Saladin gefühlt haben muss, als er einen Monat lang vergeblich versucht hat, das Krak einzunehmen. Vielleicht fühlt sie sich aber auch gerade so, als würde das Krak mehrmals von Erdbeben durchgerüttelt. Fiebrig in ihren Wolldecken. Die letzten Seiten ihres Buches.
Wenn das ein Roman wäre, dann würde jetzt mit den Hauptpersonen, die durch alle möglichen Fäden mit der Handlung verbunden sind, etwas Dramatisches passieren. Sie würden sterben, oder irgend etwas in ihrem Leben würde sich von Grund auf ändern. – Lieve Joris