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Gleich morgens geht es los. Zur Fähre. Das Pfund getrocknete Aprikosen in ihrer Tasche neben dem Reisetagebuch bringt sie fast um. Würde es nicht später ihr Leben für einen Tag retten.

Überfahrt. Sie wäre gerne noch ein, zwei Tage geblieben. Vielleicht doch noch die vielen schönen Orte besuchen, die sie von früher kennt. Noch ein bisschen im Garten sitzen. Das Surren, Klingeln, Hupen, Trommeln, Scharren, Schwirren. Jede Stadt klingt anders. Riecht anders. Geschichten dieser Stadt lauschen. Doch, die Option gibt es nicht. Der nächste Zug fährt erst wieder nächste Woche. Zum Abschied leuchtet Die Pforte der Glückseligkeit noch einmal im morgendlichen Sonnenlicht. Sie braucht den Bagdhad Express. Es ist ihr Einstieg. Ankunft am Haydarpaşa.

Das Zuggespann ist ein Sammelsurium an unterschiedlichen Wagons und Destinationen. Ausschliesslich dieser eine Schlafwagen fährt nach Syrien. In der gebuchten Einzelkabine Nummer 5 ist bereits ein Bett bezogen. Der Rucksack lässt einen männlichen Bettnachbarn vermuten. Kein faltbares Solarpanel. Als sie sich an den Schaffner min sūriyya wendet, quartiert er sie in Kabine 1 um. In seinem Wagon herrscht schliesslich Zucht und Ordnung. Er überlegt es sich dann doch noch anders und quartiert sie in die Kabine 19, weil er Kabine 1 ihr geruchlich nicht zumuten wollte. Und Kabine 19 direkt neben seiner liegt, um besser auf sie aufpassen zu können. Auf dieser Etappe ist sie die einzig weibliche Alleinreisende. Sie ist gerührt, nicht nur deswegen, sondern auch, weil sie wieder in der arabischen Sprache angekommen ist. Aiwa! Alf shukran! Sie ist auf dem Bagdhad Express! Anfangs hält er noch an jeder noch so kleinen Haltestelle. Fast im Minutentakt.

In ihrem Wagon sind zirka 15 Reisende unterschiedlicher Nationen. Deutsche, Holländer, Schweizer. Und zwei Kanadier. Eine Kabine weiter. Ihre englische Zunge ist schon ganz flusig. Haben sie sich doch den ganzen Tag unterhalten. Entgegen ihrer Vorstellung, es würde einen Speisewagen geben, ernährt sie sich nun schon seit 24 Stunden von ihren getrockneten Aprikosen. Zu Zeiten, als Agatha Christie auf dieser Strecke unterwegs war, um ihren Mann in Aleppo zu besuchen, fuhren hier noch Küchen- und Speisewagen, ein Schlafwagen und zwei gewöhnliche Reisewagen im Gespann. Nur gut, dass sie ihren Wasserfilter hat. Fleissig pumpt sie das Wasser aus dem Waschbecken in ihrer Kabine durch den Porzellanfilter. Nicht nur, dass sie keinen Speisewagen haben, sie sind auch hermetisch abgeriegelt. Nach allen Seiten. Nur von aussen kann der Wagon aufgeschlossen werden. Am hinteren Ende ihres Wagons würde es ja auch Sinn machen, da die Wagons dahinter auch bereits abgekoppelt sind. In der Nacht durchstreifen sie das Taurus-Gebirge. Von ihrem Bett aus beobachtet sie diese wundervolle Landschaft. Schläft wieder ein. Beobachtet wieder. Die Bettwäsche riecht so schön. Schläft wieder ein. Beobachtet.

Am Morgen treffen sich wieder alle Reisenden auf dem Gang vor den Kabinen. Das Taurus-Gebirge haben sie passiert. Nun liegt dieses weite Land vor ihnen. Es wird brav landwirtschaftlich genutzt. Grain fields. Grain silos. In zwei Stunden sollen sie in Adana sein. Eigentlich sollten sie Adana um 05:15 am erreichen. Sie haben Verspätung. 5 Stunden. Welch Freude. Dieses Zugfahren macht Spass.

Max und Murray futtern sie durch. Die Aprikosen sind längst alle. Es ist herrlich. Sie picknicken in ihrer Kabine. Erzählen sich ihre Leben. Ihre Reisen. Sie haben das Essen. Sie hat das Werkzeug. Sie sichern ihr die Ernährung. Sie ihren Schlaf. In ihrem Abteil klappern die Schranktürchen. Gut, dass sie ihren Leatherman bei sich hat. Flugs sind die Schrauben angezogen.

Murray war Nachrichtensprecher bei einem kanadischen Sender. Max ist Operator für Iceland-, Greenland- und Baffin Island-Expeditionern. Polar bear expeditions. Je östlicher sie kommen, umso dichter ist die Besiedlung. Häufig grössere Orte. Sie sind mittlerweile in Şakirpaşa angekommen. Abgekoppelt von der türkischen Lok. Es ist brütend heiss. Kein Lüftchen. Woher auch? Sie warten noch immer auf die Lok min sūriyya, die sie über die Grenze nach Syrien bis Aleppo bringen wird. Draussen röcheln die Lkws. Kein Hund bellt. Ab und zu ein Ruck am Wagon. Sms von einem Freund aus Israel: „heiss, Meer, geil!“ Eventuell werden sie sich noch in Israel treffen. Doch dazu muss sie erst nach Jordanien. Und der Weg ist noch weit. Alles liegt noch vor ihr.

Istanbul und das Taurus-Gebirge hinter ihr. 51 Stops und 1254 Kilometer.

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